Studieren wie Gott in Frankreich
Nach
Abschluß eines juristischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Studiums eröffnet sich vielen Studenten die Möglichkeit, statt des direkten Berufseinstiegs den bekannten Blick über den Tellerrand im
Rahmen eines Aufbaustudiengangs im Ausland zu wagen. Vor allem die MBA-Studiengänge, vorzugsweise an einer amerikanischen Eliteuniversität, erfreuen sich hierbei sehr großer Beliebtheit, während die
vielfältigen Möglichkeiten eines Aufbaustudiengangs, die das französische Universitätssystem bietet, in den allermeisten Fällen außer Betracht gelassen werden. Der folgende Beitrag will auf diese
Möglichkeiten aufmerksam machen.
Aufbaustudiengänge in Frankreich
Unter französischen Studenten ist die Zulassung zu einem einjährigen Aufbaustudiengang, dem sog. "troisième cycle"
nach Grund- und Hauptstudium außerordentlich begehrt. Bei diesem Aufbaustudiengang muß zwischen dem theoretisch ausgerichteten "Diplôme d'Etudes Approfondies" (Titel "DEA") oder dem
praxisorientierten "Diplôme d'Etudes Supérieures Spécialisées" (Titel "DESS") unterschieden werden. Beide Aufbaustudiengänge werden von den meisten der französischen Universitäten für
grundsätzlich alle Fächer angeboten, allerdings überwiegen die juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Spezialisierungen. Die großen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten Frankreichs bieten
oftmals mehr als 20 verschiedene DEA- oder DESS-Studiengänge an.
Konzeption der Aufbaustudiengänge
Die "Klassenstärke" beträgt ca. 30 Studenten, so daß innerhalb von kurzer Zeit ein reger Kontakt mit den
Kommilitonen sowie dem Lehrkörper besteht. In der Regel besteht der Lehrkörper je zur Hälfte aus Universitätsprofessoren und Praktikern. Um Berufstätigen die Teilnahme an dem Aufbaustudiengang zu
ermöglichen, finden die Kernveranstaltungen in der Regel zwischen 16.00 und 22.00 Uhr statt. Insgesamt besteht der Lehrplan aus ca. 25-30 Wochenstunden. Die von den Praktikern geleiteten
Lehrveranstaltungen dienen in der Regel der Vertiefung des theoretischen Unterrichts und wird in Form von Fallstudien abgehalten. Die universitäre Ausbildung ist in 3 Trimester aufgeteilt; die
Vorlesungszeit beginnt in der Regel Anfang Oktober und endet im Mai.
Um ein DESS erfolgreich abzuschließen, müssen die Examen zum Ende der Vorlesungszeit bestanden werden. Darüber hinaus ist ein
zweimonatiges Praktikum in einem Unternehmen sowie die Anfertigung einer Zweimonats-"Diplomarbeit" ("mémoire") während der vorlesungsfreien Zeit ab Anfang Juni notwendig.
Grundsätzlich hört sich dies nach einem hohem Arbeitsaufwand an, der vor allem für ausländische Studenten schon allein aufgrund der
fremden Sprache auch erforderlich ist. Die französischen Studenten sehen dies in der Regel aber lockerer, da das eigentliche Problem, wie in vielen anderen Bereichen des französischen Studenten- und
Berufslebens, die Aufnahme in den Studiengang ist. Auch wenn vereinfachend gesagt werden kann, daß die Anforderungen, die an die Abschlußprüfungen sowie der Diplomarbeit gestellt werden, nicht so hoch
sind wie die Diplomprüfungen in Deutschland, ist der Wissenstransfer außerordentlich effizient. In der französischen Tradition des "raisonnements" wird in der Ausbildung der Schwerpunkt nicht
auf die Vermittlung von Detailwissen gesetzt, sondern vielmehr in der Vermittlung der Prinzipien und der Zusammenhänge. Dies war für mich anfangs, an die Anforderungen eines deutschen BWL-Diploms
gewöhnt, sehr überraschend, im Rückblick jedoch eine sehr wertvolle Art des Wissentransfers, bei dem oftmals mehr als in Deutschland "hängenbleibt".
Zulassungsvoraussetzungen
Die Bewerbungsfristen sind in der Regel bis Mitte Juni eines Jahres. Die Bewerbung erfolgt direkt an derjenigen Universität,
die den jeweiligen Studiengang anbietet. Voraussetzung für die Aufnahme ist die Anfertigung einer "Zulassungsarbeit" über ein Thema aus dem Bereich des jeweiligen Studiengangs in französischer
Sprache mit einem Umfang von ca. 20-30 Seiten. Die engere Auswahl erfolgt dann oftmals durch ein persönliches Vorstellungsgespräch mit einem der Professoren oder Lehrbeauftragten.
Die Teilnahme erfordert selbstverständlich Grundkenntnisse der französischen Sprache. Daß diese in den meisten Fällen von vornherein
nicht perfekt sein können, ist allen Betroffenen bewußt. Man wird erstaunt sein, wie flüssig man sich nach einem einjährigen Aufenthalt auf französisch verständigen kann. Mangelnde Sprachfertigkeit
sollte daher nicht als Argument gegen ein Studium in Frankreich, sondern viel mehr als Herausforderung begriffen werden.
Kosten
Die Kosten für ein Studium sind relativ gering. Die Studiengebühren variieren je nach Universität und betragen ca. 500 DM für
das gesamte Jahr. Jedoch können für diese Aufbaustudiengänge auch in Deutschland Stipendien beantragt werden. Die Lebenshaltungskosten sind mit denen in Deutschland vergleichbar, jedoch gibt es
erhebliche Unterschiede je nach Attraktivität des Studienortes.
Warum Frankreich?
Frankreich ist sowohl wirtschaftlich als auch politisch der wichtigste Partner der Bundesrepublik. Schon allein aus diesem
Grund spricht vieles, auch im Hinblick auf eine spätere Berufstätigkeit, für ein näheres Kennenlernen. Die fachliche Ausbildung ist meinen Erfahrungen zufolge sehr gut. Darüberhinaus empfiehlt sich ein
Aufbaustudium in Frankreich aufgrund der geringen Studiengebühren sowie des Perfektionierens der französischen (Fach-)Sprache.
Was jedoch den besonderen Reiz eines Studiums in Frankreich ausmacht, ist der Blick über den Tellerrand in einen gänzlich anderen,
romanischen Kulturkreis. Der Charme, Herzlichkeit, Witz, Eleganz, Ästhetik, Sprache sowie Liebe und Bekenntnis zu der nationalen, aber auch europäischen Kultur, die von den Franzosen auf derart schöne
Weise vorgelebt werden, vermitteln Eindrücke und Erfahrungen, die ein Studium in den USA nicht bieten kann. Ein MBA-Studium in den USA wird oftmals auch aus Bequemlichkeit einem Studium im romanischen
Sprachkreis vorgezogen, da der American Way of Life in vielen Lebensbereichen in Deutschland als Leitbild Eingang gefunden hat und somit einfach näher liegt. Wir Europäer haben andererseits genug
"Kultur", um unser eigenes, unseren Bedürfnissen zugeschnittenes Leitbild zu entwickeln und zu leben. Ein Aufbaustudium in Frankreich ermöglicht das hierfür notwendige Kennenlernen einer
Kultur, die der unseren, aufgrund der Nachbarschaft sowie der europäischen Integration, eigentlich am nächsten und am wichtigsten erscheinen sollte. Wer den kleinen Sprung nach Frankreich wagen sollte,
wird nicht enttäuscht werden.
Weiterführende Literatur:
Annuaire National des Universités 1997, Paris 1997
http://www.daad.de
Bild meines Jahrganges DESS 221 “Fiscalité de l’Entreprise” Jahrgang 1992 an der Université Paris IX-Dauphine.
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